Zeppelintribüne in Nürnberg:70 Millionen für Hitlers Ruine

Zeppelintribüne in Nürnberg

Die Zeppelintribüne in Nürnberg gehört zu den größten Relikten des NS-Regimes. Hunderttausende Besucher aus der ganzen Welt werden hier jedes Jahr gezählt.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Stadt Nürnberg will Hitlers Rednertribüne mit viel Geld sanieren und als historischen Lernort ausweisen. Aber sollten Nazibauten mit so hohem Aufwand saniert werden?

Von Olaf Przybilla

Am Reichsparteitagsgelände hat es am Morgen geschneit, um die Mittagszeit überdeckt eine weiße Schicht die NS-Hinterlassenschaften im Nürnberger Süden. Nur auf der Zeppelintribüne steht ein Mann mit großem Besen, der Schnee wirbelt, ein fast beschauliches Bild. "Enter at your own risk", warnt das Schild an der Seitenmauer der Tribüne, das mag man an diesem Mittag auf die vereisten Steinquader beziehen. Das Schild aber hängt da immer, auch im Sommer.

Weil die Tribüne porös ist und weil sie an ihrer hinteren Wand immer wieder gesichert werden muss, um zu verhindern, dass Besuchern bröckelnder Muschelkalk auf den Kopf fällt. Seit Jahren strebt die Stadt Nürnberg eine Generalsanierung jener Tribüne an, auf der Adolf Hitler seine Parteitagsreden hielt. Geschätzte Kosten: 70 Millionen Euro.

Josef Reindl sitzt in einem fränkischen Gasthaus auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Ein zünftiges Haus in Blickweite von NS-Ruinen, so was gibt es in Nürnberg. 70 Millionen Euro für einen maroden Nazibau? Der Professor für Architektur findet die Summe nicht anstößig. Wenn es sinnvoll wäre, sagt Reindl, dann würde er auch 150 Millionen Euro für die Generalsanierung der Zeppelintribüne für angemessen halten. Aber ob das tatsächlich sinnvoll ist, darüber plagen Reindl doch massive Zweifel. Der Professor wählt Worte, wie man sie in Nürnberg in dieser Deftigkeit nicht häufig zu hören bekommt, wenn es um die Hinterlassenschaften der Nationalsozialisten geht: "Wollen wir alle Steine von Adolf wieder aufrichten?"

Worauf die "Generalinstandsetzung" hinausläuft

Reindl ist Mitglied von "Baulust", einer Vereinigung von Architekten, Bauingenieuren und Künstlern. Seine Kollegen, etwa der Ingenieur Alexander Hentschel, intonieren die Frage etwas weniger prall. Aber auch Hentschel stößt sich am Plan der Stadt Nürnberg, die gesamte Tribüne mit Millionenaufwand instand zu setzen. Zwar hat auch Hentschel vernommen, wie Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) kürzlich Kritikern entgegengetreten ist: Es gehe der Stadt gewiss nicht um eine "Aufhübschung" der bröckelnden Tribüne, hatte Maly betont.

Aber unterm Strich, fürchtet Hentschel, laufe die angestrebte "Generalinstandsetzung" genau darauf hinaus: 80 Prozent der Fassadenflächen und Tribünenstufen gelten als marode. Würde man den brüchigen und von Moos angegriffenen Sandstein mit anderem Material ersetzen, komme dies einer Rekonstruktion eines NS-Bauwerks mindestens sehr nahe, sagt Hentschel. Angesichts eines so massiven Schritts fehle ihm da die Debatte.

Die will die Architektenvereinigung nun in Gang bringen. Gerade weil in Nürnberg bislang großer Kosens darüber besteht, dass die denkmalgeschützte Zeppelintribüne erhalten bleiben muss - inklusive des im Inneren der Tribüne befindlichen "Goldenen Saals".

SPD und CSU wollen aus der Tribüne samt Umgrenzungsbauten einen historischen Lernort machen. Unterstützung erhoffen sie sich dabei aus München und Berlin. Denn würde man die marode Steintribüne - in Sichtweite des Fußballstadions gelegen - einfach weiter vergammeln lassen, müsste diese in absehbarer Zeit vollends hinter einer Absperrung verschwinden: Gefahr für Leib und Leben. Und in dem Fall, sagt OB Maly, drohe "eine Mystifizierung dieses Bauwerks".

Das will die Stadt unbedingt vermeiden, zumal im vergangenen Jahr 200.000 Besucher an Führungen über das Areal teilgenommen haben. Das Bedürfnis nach historischer Information auf dem ehemaligen NS-Gelände ist also weiterhin groß.

Riesenaufwand für Nazibauten?

Den Architektur-Professor Reindl überzeugt das Nürnberger Konzept trotzdem nicht. Dass zu einer Erinnerungskultur gehöre, sämtliche Hinterlassenschaften der Nationalsozialisten für die Ewigkeit zu erhalten, leuchte ihm nicht ein. In ihren Diskussionsveranstaltungen wollen die Leute von Baulust auch wahrgenommen haben, dass "sehr viele Menschen erhebliche Probleme damit haben, mit Riesenaufwand Nazibauten zu konservieren". Wer einschlägige Forumsbeiträge zu dem Thema liest, kann die Beobachtung der Architektenvereinigung gut nachvollziehen.

Was aber wäre die Alternative? Die Mitglieder von Baulust wollen sich auf einen Königsweg nicht festlegen. Aber sie wollen - vor der großen Generalsanierung - noch einmal Alternativen diskutiert wissen: Etwa einen Erhalt der Tribüne im jetzigen Zustand, samt "vollständiger Überdachung", um zu verhindern, dass weiterhin Feuchtigkeit in die Tribüne eindringt - einer der Hauptgefahren an diesem Bau.

Für den kontrollierten Verfall

Oder gleich deren "kontrollierten Verfall". In Diskussionsveranstaltungen finden sich vor allem dafür zahlreiche Sympathisanten: Der Verfall als Symbol, wie sehr da ein Regime abgewirtschaftet hat, moralisch wie architektonisch.

Aber müsste dafür nicht die gesamte Tribüne auf einer Länge von 360 Metern abgeriegelt werden? Hentschel glaubt das nicht: Man könne den Goldenen Saal im Zentrum der Tribüne erhalten, nur deren Randbereiche dem Verfall überlassen und etwa mit Stahlnetzen grob absichern. Hentschel könnte sich auch eine Abriegelung mit einer Glaskonstruktion vorstellen: Besucher des NS-Geländes könnten dann dabei zuschauen, wie hinter der Begrenzung "der NS-Schutt allmählich anwächst".

Für Besucher der "Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft" oder von "Rock im Park" wäre die Zeppelintribüne dann freilich nicht mehr nutzbar. Für die Architektenvereinigung ist genau das ein oft unterschlagenes Argument für deren Erhalt: "Die Tribüne ist ein heiliges Pferd in Nürnberg", glauben sie erkannt zu haben - gerade weil sie zweimal im Jahr für Rockkonzerte und Autorennen genutzt werde.

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