Stadtentwicklung:München soll weniger wachsen? Ein absurder Gedanke

Isarpanorama in München, 2015

Ziemlich idyllisch, diese Stadt: Der Isarblick flußaufwärts Richtung Südwesten - links die Weideninsel, rechts die Kirche St. Maximilian und im Vordergrund die Reichenbachbrücke.

(Foto: Florian Peljak)

Die Stadt schwimmt im Geld - und platzt aus allen Nähten, sodass manche Bürger darüber nachdenken, ob man das Wachstum begrenzen könnte. Doch den Boom muss man gestalten, nicht stoppen.

Kommentar von Christian Krügel

Wenn das mal kein Grund zur Euphorie ist: Münchens Wirtschaft floriert, die Arbeitslosigkeit liegt weit unter vier Prozent. In der Stadt werden deutlich mehr Kinder geboren als Alte sterben, 300 000 Menschen wollen wohl in den nächsten Jahren hierherziehen. Das kulturelle Leben der Stadt und der Freizeitwert des Voralpenlandes sind Gold wert. München schwimmt im Geld, keiner anderen deutschen Stadt geht es so gut. Was für Voraussetzungen, um München zu einer Muster-Metropole in Europa zu entwickeln, zu einer Stadt, die Maßstäbe setzt bei modernen Verkehrskonzepten, urbanem Wohnen und sozialem Zusammenhalt.

Nur leider ist bei den Münchnern kaum Aufbruchstimmung, dafür viel Verzagtheit und Verdruss zu spüren. Denn auch das ist ja wahr: Wohnen und Leben werden immer teurer, der Platz wird immer enger, nicht nur auf den Straßen und in der S-Bahn. Sozialer Druck und Armutsrisiko steigen. Die Stimmung der Münchner kippt - so sehr, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter an diesem Mittwoch seine Stadträte zu einem Hearing zusammengetrommelt hat. Thema: die Gestaltung des Wachstums, das mancher am liebsten gleich begrenzen möchte.

Doch Münchens Boom wird sich nicht stoppen lassen. Unternehmen kommen nicht hierher, weil die Stadt mit bunten Broschüren und niedrigen Gewerbesteuersätzen um sie gebuhlt hat, sondern weil sie hier das richtige Umfeld, die richtigen Partner finden: Universitäten und Forschungseinrichtungen, Großkonzerne wie BMW, IBM, Google, Microsoft, dazu noch eine beneidenswert schöne Landschaft. Mit diesen Pfunden muss man wuchern und sie nicht verstecken.

Hinter der Idee, Erfolg eindämmen zu können, steckt ein sehr deutscher Gedanke von Begrenzung, Planung und letztlich Gleichmacherei. Dieser prägt seit Jahrzehnten Strukturpolitik in Bund und Land. Mit Verweis auf den Auftrag des Grundgesetzes, im Lande gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, werden mit großem Aufwand ländlicher Raum und strukturschwache Gebiete gefördert statt die Metropolen zu stärken.

Es ist ja schön, wenn jedes unterfränkische Dorf einen Breitbandanschluss bekommt und thüringische Landbahnhöfe erhalten werden, um Landflucht zu verhindern. Doch jeder Euro ist in den Ausbau der Münchner S-Bahn oder der Berliner Infrastruktur deutlich besser investiert: Hier stecken die große Wirtschaftskraft und Tausende Arbeitsplätze. Und der Ingenieur aus dem Bayerischen Wald wird trotz aller Strukturpolitik lieber nach München gehen, wenn BMW mit 15 000 Arbeitsplätzen im neuen Forschungszentrum lockt.

Es braucht endlich Mut zur Metropole

Es darf nicht darum gehen, das Wachstum Münchens und anderer prosperierender Ballungsräume zu begrenzen. Diese Städte und ihre Bürger müssen vielmehr dazu in die Lage versetzt werden, damit zurecht zu kommen, in allen Bereichen. Flächentarifverträge zum Beispiel sind dabei wenig sinnvoll. Denn eine Krankenschwester oder Erzieherin muss in Berlin und München mehr verdienen können als in Schweinfurt und Hof. Oder weshalb stecken Bund und Länder nicht noch viel mehr Geld in den Ausbau der Infrastruktur? Wenn doch die Verkehrsnetze in München und Berlin zu kollabieren drohen. Statt breitgestreuter Förderung braucht es endlich Mut zur Metropole.

Doch dieser Mut fehlt ja in München selbst auch. Denn wer es sich in diesem Wohlstandsidyll einigermaßen bequem eingerichtet hat, mag ungern Veränderungen: nicht den neuen Wohnblock auf der Wiese gegenüber, keine nachverdichteten Quartiere, erst recht keine Baustellen vor der Haustür oder längere Öffnungszeiten für die Kneipe am Eck. Die Stadt leistet dem mit einer Fülle von Verordnungen und Vorschriften selbst Vorschub, gerade beim Bauen: vom letzten Fahrradstellplatz bis zur ökologischen Regenwassernutzung ist bei Neubauten alles reglementiert.

Das macht Bauen nicht nur noch teurer. Es verhindert auch urbanes Leben und Wohnen und bremst den Mut für alles Ungewöhnliche. Die Flächen in der Stadt werden knapp. Aber die Millionenstadt München traut sich trotzdem nicht an neue Hochhaussiedlungen, nur zögerlich gibt sie die strikte Trennung zwischen Wohnen und Gewerbe auf. Den großen Wurf einer Stadterweiterung auf letztem Ackerland wagt man nicht mit Rücksicht auf Anlieger und Umlandgemeinden. Und in der Verkehrspolitik merkt man erst jetzt, dass der Ausbau von Tram, U- und S-Bahn viele zu lange verschlafen wurde, von alternativen Konzepten ganz zu schweigen.

Am Geld kann in München all das nicht scheitern - aber sehr wohl am mangelnden Willen daran, endlich eine moderne Metropole werden zu wollen.

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